Anni hat gerade eine Lieferung erhalten. (Grabschmuck ist nicht so ihrs, den bestellt sie deshalb manchmal aus Dübelfingen, was aber niemand weiß.) Ohne die Lieferung genau zu überprüfen, stellt sie Sachen gedankenverloren vor der Gärtnerei aus.
Anni hat gerade eine Lieferung erhalten. (Grabschmuck ist nicht so ihrs, den bestellt sie deshalb manchmal aus Dübelfingen, was aber niemand weiß.) Ohne die Lieferung genau zu überprüfen, stellt sie Sachen gedankenverloren vor der Gärtnerei aus.
Anni hört Maxi aufmerksam zu. Sie merkt, dass es ihm wehtut, über seine Erinnerungen zu sprechen. Sie wird ihm keinen Brombeerbusch aufschwatzen. Nicht jetzt gerade. Kurz verschwindet sie zwischen den Regalen mit Blumen und kommt mit zwei Pflanzen im Topf zurück. Man braucht kein Grab, Maxi, um Erinnerungen bei sich zu behalten.
Das hier ist ein seltener, besonderer Lavendel. Lavendel war schon in alten Zeiten eine Pflanze des Gedenkens. Der Hingabe. Des Erinnerns. Sein Geruch löst immer wieder ein liebevolles Erinnern aus. Aber er wurzelt nicht so tief, als dass man seinen Blick nicht neuem zuwenden kann. Er ist winterhart. Auch, wenn in sehr kalten Wintern der obere Teil abwelken kann, treibt er immer wieder neu aus, wenn es wärmer wird. Er verändert sich dabei. In Form und Farbe. Aber die Erinnerung, der Duft, der bleibt da.
Und das hier sie zeigt auf eine grüne Pflanze ist Efeu. Die meisten mögen Efeu nicht allzu sehr, weil er sehr penetrant werden kann. Aber nicht jeder Efeu ist so. Das hier ist ein Strauch-Efeu. Im Laufe der Zeit wird er bis zu zwei Meter groß und bildet einen buschigen Strauch. Dieser Strauch-Efeu blüht nicht, aber er hat Sommer wie Winter glänzende grüne, herzförmige Blätter. Er schlägt tiefe Wurzeln und wächst langsam, aber sehr beständig und hält sich über Jahre an einer Stelle. Wie es eine sehr schöne Erinnerung tun sollte. Wie man sich an etwas festhält, das einem sehr wichtig war. Das einem im Leben Halt gab.
Sie schaut Maxi an. Man muss selbst entscheiden, welchen Weg die Zukunft nimmt. Die tiefe Verwurzelung einer schönen Erinnerung. Damit sie immer so bleibt , wie sie war. Oder die Erinnerung, die im Kern immer da ist. Aber die Chance gibt, sich zu verändern und neuem zuzuwenden und andere Formen anzunehmen.
*Maximilian fährt mit den Fingerspitzen langsam, als hätte er lange nicht mehr gewagt, etwas anzufassen, über die raue Topfkante. Er hat seine Stimme ein wenig gesenkt. Es fällt ihm schwer, das zu sagen, aber es ist ihm wichtig.
Weißt du Anni, das ist das erste Mal seit langem, dass nicht nur Worte bei mir ankommen, sondern dass jemand auch etwas sagt. Efeu, Lavendel, das klingt nach Erinnerung, nach Wurzeln, nach Dingen, die immer noch Halt geben, obwohl alles andere knirscht und wackelt. Ich,
Er hält inne, atmet schwer, sucht nach einem Anfang, der nicht nach einem Augenblick schon wieder zusammen fällt.
Ich glaubte, ich wäre schon lange unsichtbar geworden. Nur so einer, der immer wieder durchs Dorf läuft und Zettel anklebt. Aber jetzt fühlt es sich an, als wäre ich gesehen worden, nicht das was ich spiele, sondern das, was ich mit mir trage.
Sein Blick bleibt auf den Pflanzen. Er ist einen Augenblick lang den Tränen nahe.
Vielleicht, vielleicht war das genau das, was ich gebraucht habe. Kein Grab. Kein Stein. Nur dieses Gefühl, dass die Erinnerung weiterleben kann, auch wenn, wenn… schon lange weg ist.