Lübben steht auf den ersten Ausläufern des Irmenberges und schaut mit verlorenem Blick in das Tal. Noch trägt es einen anderen Namen, doch schon in wenigen Wochen soll aus ihm das Kleebachtal werden. Fleißige, aus EU-Fördergeldern finanzierte Arbeiter sind grade dabei, den Bach, der durch das Tal fließt, in genau die Form zu bringen, die der Kleebach haben sollte. Ein Messtrupp hat den Bachlauf millimetergenau vermessen und jede falsche Windung, jedes fehlende Kehrwasser, jeden verkehrten Stein mit kleinen Holzstäben markiert und abgesteckt.
Lübben seufzt. Es ist so fremd hier, und soll irgendwann so vertraut werden, doch bis dahin ist noch viel zu tun. Er blickt auf die Zeltstadt, die im Tal errichtet worden ist, bis es an den Aufbau der Häuser geht und tätschelt dabei den Hals des Pferdes, dass neben ihm steht - ein richtiges Gefährt hatte das Budget nicht hergegeben, deshalb ist er momentan beritten unterwegs.
Lübben schwingt sich auf den Sattel, gibt dem Pferd die Sporen und reitet ins Tal.
Ein wenig später betritt er das große Zelt, das momentan das Rathaus und die Dorfverwaltung beherbergt und als Hauptquartier für den Universumswechsel dient - aufgrund der EU-Förderungen müssen sie es Headquarter of Universe-Migration (HQUM) nennen -, setzt sich an seinen Schreibtisch sein Brett auf zwei Holzkisten und beginnt, die Anträge, die den Morgen über eingegangen sind, abzuarbeiten.
Obwohl die Einrichtung spartanisch und behelfsmäßig wirkt, ist das Brett ordentlich aufgeräumt. Alles steht an seinem Platz: Der Lochstanzer mit Anschlagschiene, direkt daneben der große Registraturlocher. Drei Ablagen (viel zu wenig für ein effizientes System, aber der Vorraustrupp durfte nur leichtes Gepäck mitnehmen), Eingang, Zu Bearbeiten, Ausgang. Eine Tasse Kaffee (“Niemand ist perfekt, aber als Beamter ist man verdammt nah dran”), Lübben überlegt kurz, ihn mit etwas Whiskey zu strecken, schüttelt dann aber schnell den Kopf, um den Gedanken loszuwerden - diese Zeiten sind lange vorbei. Sein Stempelhalter mit den Eingangs-, Genehmigt- und Abgelehnt-Stempeln. Sein Karteikartenhalter, in dem die Kontaktdaten aller Bürger vermerkt sind. Der Platz für das Faxgerät ist noch frei, die Telekommunikation wird nächste Woche erst verlegt. Doch das Funkgerät, dass er eigentlich nur für die Dorfjugend und Fanta benötigt, liegt schon bereit und ist momentan unverzichtbar.
Und natürlich das Foto von Jana. Lübben schaut auf das Foto, den Stempel hoch erhoben in der Hand. Er vermisst Jana. Sie hatte sich für den Vortrupp beworben, war aber abgelehnt worden. Das Foto lächelt ihn an, ihre großen, wachen Augen scheinen ihn zu mustern, ihr Mund scheint zu lächeln, als sie Holger erblickt.
Bald sehen wir uns wieder, Schatz. Und wenn ich den nächsten Bürgermeister besser verstehe, dann… ja, dann frage ich endlich nach einer Reduzierung der Arbeitsteit. Versprochen. Der Antrag ist schon ausgefüllt.
Lübben spricht mit dem Foto, als wäre Jana hier. Während er spricht, donnert der Stempel in seiner Hand auf das Formular auf seinem Brett.
[Abgelehnt]